April 2024
Kneipp-Gesundheitsvisite April 2024
Das Kneippen – wissenschaftlich untersucht
Auch wenn Studien zur Wirksamkeit der Kneipp-Verfahren noch immer zu rar gesät sind, kommt Bewegung in die Kneipp-Forschung. Ein Meilenstein auf dem Weg zur wissenschaftlichen Anerkennung der Kneippschen Naturheilverfahren war die erfolgreiche Installation einer Professur für Naturheilkunde an der Berliner Charité, die 2010 als Stiftungsprofessur begann und seit 2020 als erste Haushaltsprofessur für Naturheilkunde in Deutschland verstetigt ist. Mit dieser Initiative hat der Kneipp-Bund entscheidend dazu beigetragen, dass die Naturheilkunde zunehmend in die Hochschulmedizin und wissenschaftliche Lehre integriert wird. Darüber hin-aus begleitet und unterstützt der Kneipp-Bund fortlaufend Studien, die die Wirksamkeit des Kneippschen Gesundheitskonzepts erforschen.
Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit der Wirkung von Kneipp-Kuren bzw. mit dem Konzept beschäftigen?
Da die Kneippschen Naturheilverfahren eine Vielzahl an Anwendungen umfassen, ist es eine große Herausforderung, sie umfassend wissenschaftlich zu belegen. Das Kneipp-Konzept basiert ja auch auf Erfahrungswissenschaft. Doch es gibt inzwischen zahlreiche Belege zur positiven Wirkung von Kneipp-Kuren bzw. einzelnen Aspekten der Kneipp-Therapie. Hierbei müssen wir unterscheiden zwischen hochrangigen publizierten Studien und wissenschaftlichen Untersu-chungen in Form von Bachelor- oder Masterarbeiten bzw. anderen Veröffentlichungen.
Wer hat diese Studien durchgeführt und über welchen Zeitraum sprechen wir?
Die jüngsten, hochrangig publizierten Übersichtsarbeiten, sogenannte „systematische Reviews“, stammen von der renommierten LMU München und der Berliner Charité. Der LMU-Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung hat die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem im Zeitraum 2000 bis 2019 zur Evidenz von Kneipp-Interventionen in einer Publikation von 2020 zusammengefasst. Ziel dieser systematischen Übersicht war die Bewertung der verfügbaren Evidenz zur Wirkung der Kneipp-Therapie. 25 Quellen, darunter 14 kontrollierte Studien, wurden eingeschlossen. Drei Studien wurden mit „stark“, 13 mit „moderat“ und 9 mit „schwach“ bewertet. Der 2023 veröffentlichte „Kneipp-Hydrotherapie-Review“ der Charité – Universitätsmedizin Berlin bestätigte die Wirksamkeit bei chronischer Veneninsuffizienz, Wechseljahresbeschwerden und Fieber bei Kindern.
Auf welche Symptome wurde untersucht?
Neun (64%) der kontrollierten Studien berichteten signifikante Verbesserungen nach Kneipp-
Therapie im Gruppenvergleich bei chronisch-venöser Insuffizienz, Hypertonie, leichter Herzin-suffizienz, menopausalen Beschwerden und Schlafstörungen in verschiedenen Patientenkol-lektiven sowie verbesserte Immunparameter bei gesunden Probanden. Im Hinblick auf Depres-sion und Angst bei Mammakarzinom-Patientinnen mit klimakterischen Beschwerden, Lebens-qualität bei Post-Polio-Syndrom, krankheitsbedingten polyneuropathischen Beschwerden und Inzidenz von Erkältungsepisoden bei Kindern konnten keine signifikanten Gruppenunterschiede festgestellt werden. Elf unkontrollierte Studien berichteten Verbesserungen bei allergischen Symptomen, Dyspepsie, Lebensqualität, Herzratenvariabilität, Infekten, Hypertonie, Wohlbefin-den, Schmerz und polyneuropathischen Beschwerden.
Im Kneipp-Hydrotherapie-Review der Charité – Universitätsmedizin Berlin zeigte die Auswertung von 20 hochrangigen, international publizierten Studien deutliche Hinweise auf die Wirksamkeit bei chronischer Veneninsuffizienz, Wechseljahresbeschwerden und Fieber bei Kindern. Dieser systematische Review ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, die sich der Wirksamkeit der Hydrotherapie nach Sebastian Kneipp ausschließlich anhand von randomisierten kontrollierten Studien widmete. Es konnten 20 Studien mit insgesamt 4247 Teilnehmenden ein-bezogen werden. Im Fokus standen elf Indikationen: Infektanfälligkeit bei Kindern, Krampf-adern, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs, Wechseljahressymptome, Postpolio-Syndrom, Arthrose, Polyneuropathie, akute Schmerzen bei Hämorrhoiden, bei Analfissuren nach Episiotomie. In mehreren Studien zeigten sich positive Effekte bei chronischer Veneninsuffizienz, Wech-seljahresbeschwerden und Fieber bei Kindern.
Gab es Schwierigkeiten bei der Auswertung?
Eine Herausforderung besteht im Bereich Hydrotherapie u.a. darin, dass Kontroll- oder Placebo-Bedingungen schwierig zu designen sind. Auch sei laut Charité eine Verblindung bei Hydrothe-rapie nicht möglich. Unbestritten ist jedoch, dass dieses natürliche präventiv und therapeutisch eingesetzte Verfahren ein Ansatz ist, der gerne und häufig in Anspruch genommen wird und Verfahren der konventionellen Medizin in sinnvoller Weise ergänzt.
Wie ist es um Langzeitwirkungen bestellt?
Positive Langzeitwirkungen durch Kneipp-Kuren stellte eine vom Kneippärztebund initiierte prospektive Kohortenstudie aus dem Jahr 1999 fest. Eine drei bis vier Wochen dauernde Kneipp-Kur zeigt möglicherweise auch ein Jahr nach ihrem Abschluss positive Effekte im Hin-blick auf Lebensqualität, Schmerz sowie auf einen reduzierten Medikamentenverbrauch. Die Studie wurde von vier Badearztpraxen in Bad Wörishofen zusammen mit mehreren Universitätskliniken, unter anderem der Universität Jena, durchgeführt. Behandelt wurden 363 Patientinnen und Patienten, von denen die Mehrzahl an Erkrankungen des Bewegungs- und des Herz-Kreislauf-Systems litten.
Ungefähr die Hälfte war zwischen 40 und 60 Jahre alt, die andere Hälfte war älter. Ambulant oder stationär erhielten die Patienten eine individuell angepasste Hydro-, Bewegungs- und Er-nährungstherapie, die durchschnittlich zwischen 23,3 und 27,4 Tage dauerte. Die Änderungen des Befindens wurden sechsmal während der Kur sowie drei, sechs und zwölf Monate nach dem Aufenthalt mittels Fragebögen zur Selbsteinschätzung und halbstandardisierten Interviews erfasst. Hierbei zeigte sich, dass sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit des Schmerzes und der Medikamentenverbrauch signifikant abnahmen.
Nach Abschluss der Kur konnten 20 Prozent der in die Studie eingeschlossenen Teilnehmen-den ohne Medikamente nach Hause entlassen werden. Bei weiteren 20 Prozent konnte der Arz-neimittelverbrauch reduziert werden. Auch nach zwölf Monaten war dieser Effekt noch nach-weisbar, wobei häufiger Akutmedikamente als Dauermedikamente eingespart wurden. Zudem beschrieben die Betroffenen diverse Befindlichkeitsstörungen als deutlich gebessert. Um die Ef-fekte dieser Komplextherapie aus dem klassischen Spektrum der Naturheilverfahren jedoch re-produzierbar nachweisen zu können, müssten wissenschaftliche Messinstrumente an die Praxis der Kurkliniken angepasst werden, so die Jenaer Autorengruppe. Eine Schwierigkeit besteht da-rin, dass physikalische Therapiemaßnahmen, die aufgrund der Art ihrer Anwendung die Mitarbeit der Patienten erfordern, nicht in Doppelblindstudien untersucht werden könnten.
Gibt es auch Studien mit Kindern?
Zwei Studien beschäftigen sich derzeit mit dem Konzept „Kneipp in der Kita“. Sie untersuchen die Fragestellung, ob regelmäßige Kneippanwendungen in Kindertagesstätten die Krankentage bei Kita-Kindern verringern können und ob sich womöglich auch positive Effekt für das Betreu-ungspersonal ergeben. Erste Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr veröffentlicht werden.
Wie fällt Ihr Fazit aus?
Insgesamt kommt die Wissenschaft zu dem Schluss, dass angesichts der vielen deutlichen Hin-weise auf die Wirksamkeit von Kneipp-Verfahren weitere Forschung unbedingt empfehlenswert ist. Zukünftige Studien sollten jedoch noch stärker auf eine methodisch sorgfältige Studienplanung achten, um Verzerrungen entgegenzuwirken